Viele digitale Produkte und Geschäftsmodelle haben es schwer sich am Markt zu etablieren und das, obwohl der technische Teil und die funktionale Problemlösungsqualität exzellent sind. Um dennoch eine Marktakzeptanz zu erreichen bzw. zu skalieren wird viel Umsatz mit vielen Millionen Marketingkosten gekauft und durch Ansprache der basalsten Trigger wie häufige Sichtbarkeit, günstige Preise oder Gutscheine realisiert. Die Frage ist, geht es denn auch anders bzw. bei Spitzentechnologie oder höchstwertigen Produkten und Services, muss es hier auch anders gehen? Dabei hilft ein tiefes Verstehen der bewussten und unterbewussten Entscheidungsprozesse und der Evolution des Menschen, um digitale Lösungen so zu bauen, dass der Mensch diese gerne annimmt. Differenziert betrachtet können 14 verschiedene Vertrauensphänotypen identifiziert werden, die eine unterschiedliches Technologie- und Produkterlebnis brauchen, das weit über den Bildschirm und die schriftliche Produktargumentation hinausgeht.
Es geht darum, dass Technologie für den Menschen leichter verständlich, umgänglich und akzeptabel werden muss, dann kann sie schneller besser am Markt erfolgreich sein. Doch was genau bedeutet das? In a nutshell: Häufig muss etwas um die Kernlösung ergänzend gebaut werden, die für die technischen Lösung zwar keinen Nutzen aber einen enormen Nutzen für die Entscheidungsprozesse der Nutzer hat. In meiner wissenschaftlichen Forschung, gefördert vom Wissenschaftsfond der Europäischen Kommission, habe ich zwölf Kernelemente identifiziert, die für eine menschlichere Technologie und die Bildung von digitalem Vertrauen nötig sind. Diese zwölf Kernelemente bedürfen je nach Vertrauensphänotypen, davon gibt Stand der aktuellen Forschung 14, angepasste Ausprägungen.
Menschen sind bezüglich digitaler Lösungen eher unsicher. Diese Unsicherheit ist gut durch die Feststellung des Cortisol- und des Adrenalinspieles, dies sind zwei unserer Stresshormone messbar. Es ist die Angst der fehlenden Kontrollierbarkeit der Lösungen, die Zuverlässigkeit des Systems, die Datennutzung, der Datenmissbrauch und Sorge vor Cyberrisiken. Diese Unsicherheit ist durch die 1,5 Jahre dauernde COVID-19 Angstberichterstattung nochmal gesteigert worden. Auch wenn der Inhalt der Nachrichten andere Inhalte hatte, führte dies zu einer starken Steigerung der Stresshormone wie Cortisol und Adrenalin. Dieses permanente Marinieren unserer Gehirne mit Stresshormonen hat, und die aktuelle Datenlage, lässt die Aussage zu, uns alle ängstlicher werden lassen. Dem Branchenverband Bitkom zufolge versendet jeder Zweite aus Sicherheitsgründen keine vertraulichen Informationen per E-Mail. Jeder Vierte nutzt keine sozialen Netzwerke, Cloud-Angebote oder Online-Banking. Auch die Qualität der Postings in Social Netzwerken seitens der Nutzer verändert sich. Es wird zunehmend weniger Privates geteilt. AI Lösungen setzen sich am Markt nicht zügig genug durch und selbst einfache digitale Lösungen in der öffentlichen Verwaltung muss man häufig lange suchen.
Folgende drei Gründe waren Anlass genug, diese Thematik wissenschaftlich zu untersuchen, um valide Erkenntnisse zu erlangen:
1.Wie kann die Digitalisierung ihr Potenzial entfalten?
2.Warum brauchen technologische Lösungen so lange, um sie am Markt zu etablieren?
3.Haben wir das erforderliche interdisziplinäre Fachwissen und wie können wir Forschungslücken schließen?
Inzwischen habe ich 38 Experimente mit Test- und Kontrollgruppen mit einer durchschnittlichen Größe von 1.000 Personen durchgeführt, analysiert und die Ergebnisse in eine systematische Struktur gefasst.
Digitale Technologie dem Menschen ähnlicher zu gestalten bedeutet, digitales Vertrauen beim Nutzer aufzubauen und zu erhalten.
Was ist das eigentlich, „digitales Vertrauen“? Digitales Vertrauen befähigt uns erst, online oder im Rahmen von digitalen Lösungen, Tools, Systemen etc. Entscheidungen zu treffen, weil wir einen Großteil der Informationen, die wir für eine Entscheidung bräuchten, nicht haben und es zu kompliziert diese Informationen zu erschließen. Darüber hinaus brauchen wir bei digitalen Lösungen sehr viele Informationen, da wir auf keine evolutionär verankerten Informationen zurückgreifen können.
Wenn wir digitales Vertrauen entwickeln, verzichten wir bewusst oder unterbewusst auf eine Risiko-Chancen-Analyse weil wir uns sicher fühlen und nicht nur die Risiken ignorieren, in der Erwartung, dass sich das System in der richtigen, erwarteten Weise verhalten wird.
Jede Entscheidung basiert auf einer bewussten / unterbewussten Risiko- und Chancenabwägung, bei der wir Kosten und Nutzen beurteilen. Hierbei greifen wir auf unsere Lernerfahrungen zurück, die wir im Laufe unserer individuellen Biografie gesammelt haben. Auch nutzen wir Lernerfahrungen, die wir in unserem Stammhirn, das vor 500 Millionen Jahren begonnen hat, sich zu entwickeln, gesammelt haben. Wichtig ist auch die aktuelle Situation, in der wir uns befinden und Signale, die wir gerade in diesem Moment wahrnehmen. Wenn wir vertrauen oder digital vertrauen, verzichten wir auf Informationen, die wir für eine Entscheidung eigentlich benötigen würden. In digitalen Welten fehlen uns leider sehr viele Informationen. Diese sind auch noch schwer zugänglich, da wir:
1. Die Codierung und Algorithmik nicht kennen;
2. Das erforderliche Wissen, um die Codierung und Algorithmik zu verstehen, nicht haben;
3. Nicht die Zeit und die kognitive Energie haben die AGB´s zu lesen;
4. Nur zwei unserer 16 Sinne, ja es sind 16 Sinne - manche Biologen meinen wir haben 20 können wir bisher bei digitalen Systemen einsetzen. Das ist unsere Fähigkeit zu Sehen und zu Hören. Mehr Sensoren von uns werden nicht angesprochen.
Die Informationsaufnahme erfolgt im Rahmen von digitalen Lösungen leider noch primär durch das Lesen oder das Interpretieren von Symbolen sowie Bildern, wofür unser Gehirn sehr viel „Rechenleistung“ braucht.
Aus evolutionsbiologischen Gründen haben wir in unserem Stammhirn noch keine digitalen Lernerfahrungen gespeichert, dass wird erst in ein paar tausend Jahren der Fall sein. Wegen der aktuellen genutzten Technologie von Screens und HMI´s und der Art wie Informationen über diese kommuniziert werden, ist es für den Erhalt unserer Sehfähigkeit, Informationserfassungs- und Verarbeitungsfähigkeit sowie Stabilisierung der Neuroendokrinologie sinnvoll bei aller erwünschten Begeisterung für Digitales, die Zeit von Bildschirmen so kurz wie möglich zu halten und einen Tag in der Woche komplett auf die Nutzung von Bildschirme zu verzichten.
Deshalb ist der Aufbau von digitalem Vertrauen für uns sehr schwierig. Sicherheits- und Kontrollsysteme, Lösungen zur Unterstützung von Entscheidungen und technologische Entwicklungen, die diese Vertrauensbildung fördern, werden eine große Hilfe für die Nutzer sein. Cyber-Sicherheit, Saefty und Datenschutz sind eines von zwölf Kernelementen deren phänotypische Umsetzung wesentlich ist damit die Zielgruppen digitales Vertrauen entwickeln können. Die Umsetzung von diesen zwölf Kernelementen ist wesentlich, damit wir digitale Technologien, Produkte und Services entwickeln, die dem Menschen ähnlicher und in Folge häufiger und überzeugter wie auch fehlerfreier genutzt wird.
Alle zwölf Kernelemente zusammen bilden die Vertrauensinfrastruktur. Diese Infrastruktur funktioniert ähnlich wie das Zahnradgetriebe eines Uhrwerks. Jedes Kernelement ist ein Zahnrad und jedes Zahnrad muss angesprochen werden, damit es sich bewegt. Erst wenn alle Zahnräder sich drehen, kann digitales Vertrauen entstehen.
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Das ist der erste Teil von insgesamt fünf Artikeln. Die anderen Teile poste ich in Kürz.
Dieser Artikel basiert auf einem von mir in der Fachzeitschrift IT-Sicherheit und Compliance bereits veröffentlichten Artikel.
Dr. Katharina von Knop ist Gründerin und CEO der Digital Trust Analytics. www.digitaltrust.de. Insgesamt hat sie erfolgreich dreimal in der Digitalwirtschaft gegründet. Nach ihrem Studium hat sie zum Thema Terrorismus promoviert und in dieser Arbeit nach strategischen Lösungen gesucht. Anschließend war sie 5 Jahre in der Strategieberatungen EGC und Roland Berger Strategy Consultants Projektleiterin und im Competence Center Financial Services eingesetzt. Bevor sie sich dann auf den Weg der Gründung machte, war sie verantwortliche Managerin für die Entwicklung von digitalen Geschäftsmodellen in einem Konzern.
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